08.04.2022

Baustoff-Recycling: Lösung für knappe Ressourcen beim Hausbau?

Ist Baustoff-Recycling das Rezept gegen Klimawandel und Rohstoffmangel am Bau? Martin Car vom Österreichischen Baustoff-Recycling Verband im Interview.

Text und Interview von Tamara Effler, Content & PR Management

 

Wussten Sie, dass Österreich beim Baustoff-Recycling europaweit zu den Top 3 gehört? Die Recycling-Quote von Beton und Asphalt liegt bei 90 Prozent, jene von Mauerwerk bei 70 Prozent. Das Credo lautet, schon bei Baubeginn den Recycling-Prozess mitzudenken. Was bei Neubau zu beachten ist und wie Sie Recycling-Baustoffe erkennen? Wir haben Martin Car, Geschäftsführer des Österreichischen Baustoff-Recycling Verbands, zum Interview gebeten. 

 

Reed Exhibitions: Bestehende Gebäude als Rohstoffquelle: Ist Baustoff-Recycling das Rezept gegen Rohstoffknappheit und Klimawandel?

Martin Car: Baustoff-Recycling ist zwingend notwendig. Andernfalls hätten wir schnell Deponie- und Ressourcenprobleme. Baustoffe sind gerade jetzt Mangelware. Je mehr der Bau fluktuiert, das heißt je mehr gebaut und auch abgebrochen wird, desto eher führen Recycling-Baustoffe zum Ziel. 

 

 

© Baustoff-Recycling Verband Österreich

Dipl.-Ing. Martin Car, Geschäftsführer Baustoff-Recycling Verband Österreich im Interview

Inwiefern?

Car: Das Stichwort ist Urban Mining. In einer Stadt, mit ihren Gebäuden und der Infrastruktur fallen viele Baustoffe als Rohstoffe an. Qualitativ hochwertiger Beton, Asphalt, aber auch Mauerwerk werden wieder zu Granulat verarbeitet und wieder als Baustoff eingesetzt. In Österreich liegt die Recycling-Quote bei 90 Prozent. Damit sind wir europaweit unter den Top 3. Eine 30 Jahre fluktuierende und funktionierende Recycling-Wirtschaft macht sich bezahlt.

Was muss bei Neubau eines Hauses bzw. eines Gebäudes beachtet werden, damit die Baustoffe später recycelt werden können? Was kann denn recycelt werden? 

Car: Der Baustoff sollte möglichst solitär, also nicht verbunden, im Gebäude verarbeitet sein. Mauersteine, Ziegel und Betonsteine können wiederverwertet werden. Verklebungen, Verbundbaustoffe und vollflächig eingegossene Wärmedämmungen machen das Recycling kompliziert. Ist ein Ziegel mit organischen Schaumstoffen verarbeitet, können die Baustoffe nicht voneinander getrennt werden. Damit kann der Ziegel dann auch nicht recycelt werden. Das Wichtigste sind sortenreine Baustoffe, die getrennt verarbeitet werden.

Gibt es Materialien, die unter keinen Umständen recyclebar sind?

Car: Wir müssen zwischen Gegenwart und Zukunft unterscheiden. Gips lässt sich derzeit nur schwer recyceln, da in Österreich die technischen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Eine Gesetzesnovelle vom 1.April 2021 verlangt, dass bis 2026 auch Gips komplett verwertet wird. Die Umweltgesetzgebung wird immer strenger. 

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Bis 2026 muss auch Gips komplett recycelt werden.

Das heißt, wir sollten die Zukunft beim Bauen heute schon mitdenken.

Car: Wenn wir heute Baustoffe in die Welt setzen, müssten wir uns fragen, ob sie in zehn bis 20 Jahren noch verwertbar sind. Je chemischer und komplexer ein Baustoff ist, desto schwieriger ist die Verwertung. Ein Beispiel sind Dämmstoffe Steinwolle aus vor 2000 gilt heute praktisch als gefährlicher Abfall. Je näher man an einem natürlichen Baustoff kommt, desto eher ist dieses Material in 20,30 oder 50 Jahren wieder verwertbar.

Wie viel Prozent der Baustoffe werden derzeit wiederverwendet?

Car: Mit über 90 Prozent haben Asphalt und Beton die höchsten Recycling-Quoten. Das ist kein Wunder, denn in Asphalt steckt Bitumen und damit viel Geld.  Bitumen ist ein Erdölderivat, ein sehr hochpreisiger Stoff. Daher wird es seit Jahren in Heißmischanlagen wieder zu Asphalt aufbereitet.

Und wie sieht es bei Beton und Mauerwerk aus?

Car: Beton hat hochwertige normative Anforderungen und besteht überwiegend aus reinem Gestein. Er lässt sich schnell wieder zu Gestein machen, zum Beispiel als Betonzuschlag oder für Trägerschichtmaterialien. Bei Mauerwerk liegt die Recycling-Quote bei 70 Prozent: Neben dem Ziegel gibt es auch Mörtel und Putze. Die Aufbereitungsschritte sind größer. Übrig bleibt ein Konglomerat und nicht der reine Ziegel.

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Baustoff-Recycling: Bei Asphalt und Beton liegt die Quote bei 90%, bei Mauerwerk bei 70%.

Wie sieht die gesetzliche Grundlage zu Baustoff-Recycling aus?

Car: In Österreich gibt es seit 30 Jahren die Richtlinie für Recycling-Baustoffe, die bis 2016 State of the art war. Die Recycling Baustoff-Verordnung, brachte weitere Verbesserung. Die wichtigste Vorgabe: Schon der Abbruch muss sortenrein und von einer sogenannten rückbaukundigen Person begleitet werden. Der Baustoff-Recycling Verband bietet dazu Spezialkurse an.

Muss bereits das Bauvorhaben freigegeben werden?

Car: Jedes Bauvorhaben mit einer gewissen Größenordnung muss von einer rückbaukundigen Person oder Fachanstalt geprüft und freigegeben werden. Das heißt es muss schadstoff- und störstofffrei sein. Das ist die wichtigste Voraussetzung, dass nur mehr sortenreine beziehungsweise zumindest nicht verunreinigte Stoffe in die Kreislaufwirtschaft und damit in die Recycling-Anlagen gelangen.

Folgen die Prüfkriterien strengen Vorgaben?

Car: Richtig. Die Verordnung gibt vor, was in den Recycling-Anlagen umwelt- und bautechnisch geprüft werden muss. Sind alle Anforderungen erfüllt, verlässt der Baustoff als Produkt die Recycling-Anlage. Europaweit einzigartig ist, dass circa 90 Prozent aller Baustoffe die Recycling-Anlagen wieder als Recycling-Baustoffprodukt verlassen.

Baureste werden zu Hochbauziegelsand. Wie aufwendig ist dieser Prozess?

Car: Der Prozess dauert nur wenige Wochen. Er besteht aus drei Schritten. Zuerst erfolgt der Abbruch auf der Baustelle. Dies sollte als Rückbau frei von Schad- und Störstoffen erfolgen. Der zweite Schritt ist die Annahme bei der Recycling-Anlage. Die Aufbereitung inklusive Prüfung durch Labors dauert drei bis vier Wochen. Danach geht der Baustoff wieder zur Baustelle und wird eingesetzt.

Wie erkennen Konsumenten Recycling-Baustoffe?

Car: Ich als Konsument kaufe selten Ziegel ein. Daher ist es wichtig, den Baumeister zu fragen, ob er Recycling-Baustoffe verwendet. Die zweite Frage ist: Wo kann ich am ehesten solche Baustoffe einsetzen?

Die Antwort…

Car: Recycling-Baustoffe sind als lose Schüttung oder gebunden gut für den Kanal, im Siedlungswasserbau, für Gehsteige und Zufahrten sowie für Ausgleichsschichten einsetzbar. Verwende ich Beton oder Asphalt, lohnt sich ein Blick auf den Recycling-Anteil des Materials.

Gibt es ein „Bio“-Siegel?

Car: Es gibt auf Ziegel oder Beton selbst kein „Bio“ wie auf dem Joghurt-Becher. Allerdings findet sich auf Rechnungen und Bestellungen ein Gütezeichen. Das Wichtigste ist, aktiv auf den Baumeister zuzugehen und ihn zu bitten Recycling-Produkte bei der eigenen Baustelle zu verwenden.

Ein Blick in die Zukunft: Wohnen wir in 30 Jahren in Gebäuden, die zu 100 Prozent aus wiederverwendeten Baustoffen bestehen?

Car: Das Inverkehrsetzen von Baustoffen wird immer ökologischer und nachhaltiger. Baustoffe, die heute verkauft werden, werden erst in 50 bis 100 Jahren zu Abfall. Hier müssen Baustoffproduzenten die Verantwortung auch für die übernächste Generation übernehmen. Selbst wenn wir alles recyceln, ersetzt dies nur etwa 12 Prozent der Baustoffe.

Weshalb ist das so?

Car: Es wird viel mehr gebaut als rückgebaut wird. Es ist klar, dass wir in 20 Jahren nicht 12 Prozent, sondern 15 bis 20 Prozent ersetzen können. Aber nicht 50 oder gar 100 Prozent. Es wird vielleicht ein Gebäude geben, dass komplett aus Recyclat besteht, das wird nicht die Regel sein. Ziel ist es, bei jedem Bauvorhaben 10- bis 20 Prozent Recyclate einsetzen. Damit hätten wir keine Abfälle mehr am Bau.

Vielen Dank für das Gespräch.