21.10.2022

Umbauen statt auf der „grünen Wiese" neu bauen

Das Architekturzentrum Wien gestaltet bei der „Bauen+Wohnen” Wien eine Ausstellung zum Thema Bodenverbrauch und seine politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe. Wie wird Grünland zu Bauland? Wieso steigt der Preis für Grund und Boden und was hat das alles mit unseren Lebensträumen zu tun? Karoline Mayer vom Architekturzentrum Wien hat mit RX Austria & Germany über die geplante Ausstellung gesprochen.

Karoline Mayer

(c) Katharina Gossow

Text von Karoline Sinhuber, Marketing

RX Austria & Germany: Was dürfen sich Besucher der Premiere der Bauen+Wohnen Wien bei der Ausstellung erwarten?

Karoline Mayer: Mit der Ausstellung „Boden für Alle“ will das Architekturzentrum Wien die vielen Kräfte sichtbar machen, die an unserem Boden zerren. Die Ausstellung zeigt auf, dass wir ein System geschaffen haben, das Flächenverbrauch zwingend voraussetzt. 

Anschaulich und konkret, kritisch und manchmal auch unfreiwillig absurd erläutert die Ausstellung die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe des Bodenverbrauchs. Wie wird Grünland zu Bauland? Wieso steigt der Preis für Grund und Boden? Was hat das alles mit unseren Lebensträumen zu tun? Fallstudien und Begriffserklärungen bringen Licht in das Dickicht der Zuständigkeiten. Ländervergleiche veranschaulichen Stärken und Schwächen, internationale Best-Practice-Beispiele zeigen Alternativen. Eine Sammlung an bereits bestehenden und möglichen neuen Instrumenten weist Wege zu einer Raumplanung, die die Ressource Boden schont, den Klimawandel abfedert, Bodenspekulation unterbindet und eine gute Architektur ermöglicht.

Woher kam die Idee zur Ausstellung?

Die Zersiedelung des Landes wird schon seit Jahrzehnten angeprangert. Mittlerweile könnten alle Österreicher in bereits bestehenden Einfamilienhäusern untergebracht werden (Anm: Bei einem Schlüssel von 4,16 Personen pro Wohneinheit - 8.837.707 Einwohner auf 2.123.597 Wohneinheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern laut Statistik Austria, Stand 2018) , und trotzdem wird weiter Bauland gewidmet, werden neue Einkaufszentren auf der grünen Wiese und Chaletdörfer in den Alpen errichtet. Die fortschreitende Versiegelung trägt zur Klimakrise bei und gefährdet die Ernährungssicherheit. Die Hortung von und Spekulation mit Grundstücken verteuert das Wohnen und führt zu einer schleichenden Privatisierung des öffentlichen Raums. Vielerorts entstehen Wohnungen, deren Funktion nicht die eines „Heimes“ ist, sondern einer Kapitalanlage, die auch ungenutzt ihren Wert steigert.

Diesen Entwicklungen wollten wir nachgehen und erforschen, wie eine neue Haltung im Umgang mit dem Boden und eine Raum- und Stadtentwicklung aussehen kann, die sich nicht dem Diktat des Kapitals und der Ausbeutung von Ressourcen und Arbeit unterwerfen muss.

Welche Best-Practice-Beispiele gibt es hier?

16 positive Beispiele und Projekte aus der ganzen Welt propagieren einen anderen Umgang mit Grund und Boden. Beispiele für die Belebung von Ortskernen durch Eigeninitiative oder für Verdichtung im existierenden flächenintensiven Siedlungsbereich. Beispiele für den Erhalt von Bodenqualität in der Landwirtschaft sowie den Schutz von Grünflächen vor Versiegelung. Es geht aber auch um die konsequente Entsiegelung und Renaturierung nicht mehr genutzter – oder verzichtbarer – Infrastruktur, sei es eine Stadtautobahn oder eine ehemalige Kalksteingrube. Und es werden Projektbeispiele vorgestellt, die andere ökonomische Wege beschreiten: Modelle, die sich als Alternative zum Privateigentum an Grund und Boden bewährt haben oder „revolutionäre Ideen“ wie die Abschöpfung von Widmungsgewinnen. Als Reaktion auf die Intransparenz großer Immobilientransaktionen, sei es im städtischen Wohnen oder im Agrarsektor im globalen Süden und Osten, stellen wir engagierte Plattformen vor, die sich für Transparenz einsetzen und mit ihrer Recherchearbeit das Ausmaß des globalen Geschäfts sichtbar machen. Die Gesamtheit der Projekte soll Inspiration für unsere weitere Entwicklung, für unsere tägliche Arbeit und für unsere persönlichen Lebensentscheidungen sein. Denn es geht auch anders! 

Was kann der Einzelne dazu beitragen?

Wir alle wünschen uns gutes Essen, schöne Dörfer, naturbelassene Umwelt, eine florierende Wirtschaft und belebte Städte. Wir wollen günstig und großzügig wohnen, mobil und unabhängig sein. Die meisten dieser Begehrlichkeiten sind nachvollziehbar und doch bergen diese Wünsche ungeheure Interessenskonflikte und haben großen Einfluss auf den Flächenverbrauch. Jeder einzelne kann seine Wünsche und Lebensträume in dieser Hinsicht hinterfragen und gegebenenfalls anpassen.

Für die Bauwirtschaft heißt es vor allem, Leerstand zu nutzen und umzubauen statt neu zu bauen, auch wenn dies risikoreicher und komplizierter scheint, als das Bauen auf der grünen Wiese. 

Was versteht man unter einer weitreichenden und mutigen Bodenpolitik?

Die Raumplanung verfügt über eine ganze Reihe von möglichen Instrumenten, die dabei helfen, zwischen Einzelinteressen und Gemeinwohl abzuwägen und die Nutzung von Raum vorausschauend zu planen. In der Praxis wird leider oft nicht das volle Instrumentarium ausgenützt – ob aus Unwissenheit, aus Angst vor Verlust an Wählern oder schlicht wegen eines zu kurzsichtigen und einseitigen Planungshorizontes sei dahingestellt.

 

In der Ausstellung „Boden für Alle“ werden sowohl schon lange existierende Instrumente der Raumplanung – wie die Baulandbefristung – als auch jüngere Maßnahmen – wie der Umgang mit Zweitwohnsitzen – vorgestellt. Aber auch die Wichtigkeit der informellen, der persönlichen Ebene für eine gelungene Raumplanung wird hier thematisiert. Und schließlich will eine Reihe an visionären Ideen – wie beispielsweise das Überdenken der Kompetenzaufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden – Inspiration für Diskussionen sein. Insgesamt lässt sich sagen: wir haben den Zustand des Landes selbst in der Hand, genauso wie die Werkzeuge zur Verbesserung. Wir müssen sie nur nutzen!

"Bauen+Wohnen" Wien 10.-13.11.2022, Messe Wien

Besuchen Sie die Ausstellung "Boden für alle" im Rahmen der "Bauen+Wohnen" Wien!